Exkursion des P-Seminars WR an das Landgericht Traunstein
18.11.2024
Am 4. November 2024 besuchte das P-Seminar „Aus dem Nähkästchen geplaudert – spannende Fälle aus dem Gerichtssaal“ unter Leitung von Frau Kaltenhauser eine Gerichtsverhandlung am Landgericht Traunstein. Es war der erste Verhandlungstag zum Mord am ISK-Arzt Rainer Gerth angesetzt.
Um 7.30 Uhr brachen wir zusammen mit Frau und Herrn Kaltenhauser am LGW auf. Als wir am Landgericht angekommen waren, wurden wir einer intensiven Sicherheitskontrolle unterzogen und konnten anschließend in den Sitzungssaal gehen, wo bereits Plätze für uns von Staatsanwalt Fiedler reserviert waren.
Dann erlebten wir live mit, welche Schwierigkeiten und Verzögerungen sich bei Gerichtsverfahren ergeben können: Zuerst hatte sich die Anfahrt des Beschuldigten aus der Forensik Straubing verzögert, so dass der Verhandlungsbeginn um 45 Minuten verschoben wurde. Diese Zeit nutzten wir, um uns den größten Sitzungssaal im Gericht, den Schwurgerichtssaal, anzusehen.
Um 9:45 Uhr begann dann die Verhandlung, in welcher drei Berufsrichter unter Vorsitz von Volker Ziegler, zwei Schöffen (= ehrenamtliche Richter), drei Nebenkläger mit Nebenklagevertreter, Staatsanwalt Wolfgang Fiedler und der Beschuldigte mit Pflichtverteidiger anwesend waren. Auch eine Sachverständige zur Begutachtung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten war vor Ort.
Nach dem Verlesen der Antragsschrift stellte sich ein Problem heraus: Ein Schöffe gab an, im ISK Gabersee zu arbeiten. Daraufhin musste auf Antrag des Pflichtverteidigers die Befangenheit des Schöffen geprüft werden. Dies führte zu einer weiteren Verzögerung von knapp einer Stunde. Beim Wiederbeginn wurde tatsächlich die Befangenheit festgestellt: Das Gericht schätzte die Besorgnis des Beschuldigten, dass der Schöffe nicht unbefangen urteilen werde, als nachvollziehbar ein.
Wir befürchteten in diesem Moment, dass damit für uns der Verhandlungstag bereits beendet ist, und überlegten uns schon, in andere Verhandlungen zu gehen. Glücklicherweise hatte aber das LG Traunstein in der Wartezeit einen Ersatzschöffen berufen können, der zum erneuten Verhandlungsbeginn um 11 Uhr anwesend war. So konnte es nach der Vereidigung des neuen Schöffen wieder losgehen.
Zum zweiten Mal verlas Staatsanwalt Fiedler die Antragsschrift zum Hergang der Tat und zu den psychischen Vorerkrankungen des Täters. Fiedler stufte die Tat als Mord ein, da er das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht sah: Heimtücke liegt immer dann vor, wenn das Opfer arg- und wehrlos gegenüber dem Angriff ist. Er warf dem Beschuldigten vor, dass er den Arzt am 8. April 2024 auf dem Parkplatz des Inn-Salzach-Klinikums in Gabersee überrumpelt und ihm mit einem Küchenmesser mehrmals in den Oberkörper gestochen habe, so dass dieser schwerste Verletzungen im Brustbereich erlitt. Das Opfer habe nicht mit einem Angriff gerechnet, so dass es arglos gewesen sei. Nach der Tat habe der Beschuldigte selbst den Notruf abgesetzt und sich widerstandslos festnehmen lassen. Hierbei habe er von sich teilweise in der dritten Person gesprochen und einen wirren Eindruck gemacht. Anschließend berichtete der Staatsanwalt auch von der paranoiden Schizophrenie und Opiatabhängigkeit von S., wegen welcher er von 2010 bis 2013 bereits in Gabersee untergebracht und später auch in seiner neuen Heimat Mölln weiterbehandelt wurde.
In einer ersten Stellungnahme ging der Beschuldigte nicht auf den Tatvorwurf ein, sondern verlas recht krude Behauptungen: In Deutschland mische der Staat Gift und andere Substanzen in die Nahrung, man verabreiche Kindern Rohypnol und es gebe keine freie Presse und keine freien Medien. Darüber hinaus versuche man ihn zu ermorden und damit auszuschalten.
Nach dieser Erklärung des Beschuldigten wurde die Beweisaufnahme gestartet und die ersten zwei Zeugen wurden vernommen: Beide Zeugen berichteten davon, dass die psychische Erkrankung von S. durchaus spürbar gewesen sei. Ein ehemaliger, eher sporadischer Bekannter von S. führte aus, dass S. oft „sehr zugedröhnte Momente“ gehabt habe. Auch seine Lebensgefährtin und gute Freundin berichtete von schweren Alpträumen, Schlaflosigkeit und Suchtrückfällen. Darüber hinaus habe sie den Beschuldigten jedoch als mitfühlenden, einfühlsamen und warmherzigen Menschen kennengelernt.
Nach den beiden Zeugenaussagen wurde die Verhandlung geschlossen und auf Dienstag, 12.11. vertagt. So machten wir uns gegen 12:30 Uhr auf den Rückweg.
Unsere Exkursion war sehr interessant, da wir die eine Gerichtsverhandlung live sehen konnten und direkt vor Ort miterlebten, was alles passieren kann, so dass zeitliche Planungen über Bord geworfen werden müssen.
Nebenbei durften wir verschiedene Justizberufe kennenlernen und bekamen somit Anregungen für unsere spätere Berufswahl.
Wir können auf jedem Fall jedem, der Interesse an Kriminalfällen und rechtlichen Fragestellungen hat, empfehlen, eine öffentliche Sitzung zu besuchen.
Sophia Opetnik und Leni Nitschke, beide 11a